Auf der Suche nach einem neuen Selbstkonzept

Nun lebe ich ein halbes Jahr allein mit den Kindern und es wird Zeit, so etwas wie eine Zwischenbilanz zu ziehen. Es ist nicht alles gut, aber es ist auch nicht alles schlecht. Ich fühle mich so dazwischen und bin noch dabei, mich mit meiner neuen Identität als "Alleinerziehende" auseinander zu setzen. Das ist nicht einfach, denn über 20 Jahre habe ich ein ganz klassisches Familienmodell gelebt. Eine Familie mit Mann und vier Kindern, in der ich meine beruflichen Ambitionen zurückgestellt und dafür meinen Mann beruflich unterstützt habe. Für die nächsten Jahre hatte ich mir eigentlich gewünscht, mich freiberuflich mehr entfalten zu können, aber auch weiterhin gut für die Familie da sein zu können. Ich fühlte mich abgesichert und war davon ausgegangen, dass das auch so weiter gehen würde.

Stattdessen bin ich mit einer neuen Lebenssituation konfrontiert, in der ich meine Zukunft nun ohne Mann an meiner Seite meistern muss. Ein ganz neues Bild, an das ich mich erst einmal gewöhnen muss. Da kommen eine Menge Gefühle hoch, die erst einmal verarbeitet werden wollen und das gleichzeitig zur Alltagsorganisation, gleichzeitig zur beruflichen Planung, die jetzt natürlich auch anders aussieht und gleichzeitig zu Trennungsformalitäten und dem Ärger, den es natürlich immer wieder gibt.


Wie entwickelt sich ein neues Selbstkonzept? Neben Persönlichkeitsfaktoren wird das Selbstkonzept von sozialen Rollen und der sozialen Identität bestimmt. Und diese beiden Dinge ändern sich nach einer Trennung. Hier spielen Vorbilder und Bilder, die in den Medien vermittelt werden, eine wichtige Rolle. In Deutschland gibt es 1,5 Millionen Alleinerziehende und leider schwingen bei diesem Begriff sofort sehr viele negative Assoziationen mit: erhöhtes Armutsrisiko, fast keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, alles falsch gemacht. Wenn das gesellschaftliche Bild schon so mies ist, ist es um so schwerer, so etwaswie ein positives Selbstkonzept aufzubauen. Zum Glück gibt es im Netz viele wunderbare Frauen, die auf diesem Weg unterwegs sind und die ganz offen über ihre Erfahrungen sprechen. Diese Offenheit hilft sehr dabei, sich ein neues Bild von sich und von der veränderten Familie zusammenzubasteln. Denn diese Frauen sind authentisch und bedienen die in den Medien lancierten Bilder in keinster Weise.

Mir tut es im Moment sehr gut, mir beispielsweise die Podcastfolgen von "Stark und Alleinerziehend" anzuhören (die Folgen finden sich unter den Beiträgen in der Rubrik Wissen). Es tut gut, zu hören, dass es ganz normal ist, dass die erste Zeit schwer ist, dass viele andere auch Probleme damit haben, den Gedanken an die heile Familie loszulassen und dass negative Gefühle wie Angst, Wut und Trauer einfach dazugehören. Dunja Voos hat in ihrem Interview gesagt, dass es dann einfach darauf ankommt, diese Gefühle zuzulassen und dass es helfen kann, langsamer zu werden und abzuwarten. Manche Anspannung löst sich mit der Zeit von selbst oder bekommt weniger Gewicht. Letztlich geht es darum, die Hoffnung nicht zu verlieren und die schönen Momente zu sammeln. Es braucht Zeit, ein neues Selbstkonzept zu entwickeln. Da darf man auch geduldig mit sich selbst sein. 

Wenn eine Seite des Selbstkonzepts weg fällt, kommt eine andere dafür wieder stärker zum Vorschein. So genieße ich es sehr, meinen kulturellen Interessen nun ungebremst nachgehen zu können. Ich suche mir ab und zu Lesungen, Führungen und Theaterstücke ganz nach meinem Geschmack. Denn ich habe verschiedene Facetten und manche dürfen jetzt wieder stärker ans Licht kommen.

Kommentare

gohan hat gesagt…
Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter habe ich sehr großen Respekt vor jeder Frau, die diesen Lebensweg geht. Mütter sind Heldinnen des Alltages. Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft.

LG
Denis von teanchill.de

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