Rezension: Mittagsstunde


In gewisser Weise scheint das Landleben im Moment eine Faszination auf AutorInnen und LeserInnen auszuüben, denn einige Romane, die in Brandenburg, in Hessen oder im Westerwald spielen, waren letzthin recht erfolgreich. Auch der erste Roman von Dörte Hansen "Altes Land" gehört dazu. Das Buch war 2015 ein echter Bestseller. Mit "Mittagsstunde" ist nun das zweite Buch der Autorin im Penguin Verlag erschienen.

Diesmal taucht Dörte Hansen noch intensiver ins Leben auf dem Dorf ein. Der fiktive Ort Brinkebüll in Nordfriesland ist der Schauplatz der Geschichte. Im Gasthof der Familie Feddersen treffen die Menschen im Dorf zusammen. Hier schlüpft die eigenwillige Tochter Marret hinter Schränke und beobachtet die Landvermesser, die in den 1960er Jahren kommen, um die Flurbereinigung vorzubereiten. Hier pflegt viele Jahre später Marrets Sohn Ingwer die alten Wirtsleute. Ingwer kennt als Vor- und Frühgeschichtler auch das Leben in der Stadt und doch kann er seine Herkunft vom Dorf nicht abschütteln. "Seltsam kreisten die Kartoffelkinder lebenslang um ihre Dörfer, blieben auf den Umlaufbahnen, die sie hielten, nicht zu nah und nicht zu fern."
Mit den Landvermessern und der Flurbereinigung verändert sich das Dorf, es entstehen Landstraßen und Neubaugebiete und irgendwann kennt nicht mehr jeder jeden und manche grüßen noch nicht einmal. Dörte Hansen zeichnet diese Veränderungen mit großer Präzision nach. Dabei wird das alte Dorfleben nicht als heile Welt gezeigt. Es gibt Gewalt in manchen Familien, Engstirnigkeit und Affären. Aber die Menschen in dem friesischen Dorf leben mit einer Gleichmut und ohne große Ansprüche. Manches wird registriert, aber es werden keine Diagnosen vergeben. Und so zeichnet die Autorin eine verschwundene Welt, die es so heute nicht mehr gibt.

Mir ist Dörte Hansens Roman in gewisser Weise sehr vertraut, denn die Ruhe der Mittagsstunde, wenn kein Auto fährt und niemand auf der Straße ist, die kenne ich auch aus meiner Kindheit in einem Hundertseelendorf in der Eifel. Brinkebüll ist ein Dorf, wie es überall sein könnte und daher fühlt man sich in der Geschichte schnell zuhause. Die Autorin schaut ganz genau hin. Sie blickt auf ihre Figuren mit liebevollem Respekt und ganz viel Humor. Besonders die plattdeutschen Einsprengsel und Dialoge gefallen mir gut (und sind auch für Nichtfriesen verständlich). Ein wunderbar lebendiger und warmherziger Roman, der das Landleben ganz ohne Kitsch und Verklärung zeigt. Unbedingte Leseempfehlung!

Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
Das Coverbild wurde vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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