Rezension: Liebende bleiben von Jesper Juul

In seinem neuen im Beltz-Verlag erschienenen Buch "Liebende bleiben. Familie braucht Eltern, die mehr an sich denken" wendet sich Jesper Juul den Eltern zu und macht ihnen Mut, ihrer Liebesbeziehung mehr Raum zu geben, denn das tut der ganzen Familie gut.

Tja, leichter gesagt als getan, denn wir alle, die wir Kinder haben, wissen, dass die Ankunft eines Kindes erst einmal alles auf den Kopf stellt. Plötzlich fühlt man sich als Mama mit dem Baby ganz schön allein oder als Papa nur noch genervt. Die Illusionen und Vorstellungen, die mit der Familiengründung einhergehen, sind immer viel rosaroter als in Wirklichkeit.
Für mich ganz persönlich hätte der Titel "Liebende werden" besser gepasst, denn als die große Tochter unterwegs war, kannten der Mann und ich uns erst kurz. Trotzdem haben wir uns mit ganz viel Vorfreude auf das Experiment "Familie" eingelassen und hatten in diesem ersten Sommer Zeit gemeinsam zusammenzuwachsen. Das Thema "Paarbeziehung" hat uns dennoch über all die Jahre begleitet. Immer wieder sind auch wir in die typischen "Fallen" getappt und manches, was wir erlebt haben, lässt sich eins zu eins in Jesper Juuls Buch wiederfinden.

Ganz typisch finde ich beispielsweise die Geschichte von Yvonne und Tobias. Während Yvonne versucht, sehr verständnisvoll mit ihren Kindern zu sein und sich stets auf Augenhöhe mit ihnen begibt, platzt Tobias schneller mal der Kragen. So eskalieren manche Situationen, in denen Tobias laut wird und Yvonne sofort zu ihrer Tochter hält. Die Eltern streiten immer wieder an den gleichen Punkten. Wie Jesper Juul in einem Beratungsgespräch mit Yvonne und Tobias daran arbeitet, eine andere Perspektive einzunehmen, ist spannend zu lesen. Er hilft ihnen dabei, die positiven Eigenschaften des Partners wieder zu entdecken und ihn als "Partner" und nicht als "Gegner" wahrzunehmen.

Das Buch "Liebende bleiben" enthält sieben Beratungsgespräche, die Jesper Juul im Rahmen seiner Arbeit in dem von ihm gegründeten Familylab vor etwas fünf Jahren in München geführt hat. Dabei geht es um die Themen Überforderung, unterschiedliche Erziehungsphilosophien und Umgang mit Trennung. Neben den Gesprächen gibt es Tipps von Jesper Juul an die Paare und abschließende Einschätzungen zu den verschiedenen Themen. Das liest sich gut, auch wenn das ein oder andere sicher eine Weile braucht, um anzukommen oder auch hinterfragt werden will. 

Gut gefällt mir, dass Juul die hohen Ansprüche, die Eltern heute an sich selbst und ihre Familie haben, hinterfragt. Zwei gleichberechtigte, beide Vollzeit arbeitende, gut aussehende und sich toll verstehende Partner mit einem tollen Sexleben, deren Kinder hervorragende Leistungen in der Schule bringen und auch noch höflich und freundlich sind... das ist unmöglich. 
Jeder nimmt sich selbst und die seine Erfahrungen aus der Kindheit mit in die Familie und erst mit der Geburt der Kinder bekommt man gespiegelt, wie man selbst aufgewachsen ist und was man von den eigenen Eltern mitbekommen hat. "Liebende bleiben" funktioniert nicht von selbst, sondern nur dann, wenn man im Gespräch bleibt, sich dem anderen öffnen und auch zuhören kann. Hier gibt Juul wirklich gute Hinweise, aber auch er hat kein Patentrezept zur Hand. Jede Familie muss ihren Weg selbst finden und der darf auch mal Stolpersteine haben.

Liebende bleiben: Familie braucht Eltern, die mehr an sich denken von Jesper Juul, Beltz, 18,95€

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